Band 1 / Märchen 2
Urfassung aus dem Jahre 1812 - 1814
Katz und Maus in
Gesellschaft
Eine Katze und
eine Maus wollten zusammen leben und Wirtschaft zusammen haben; sie sorgten auch für den Winter und kauften ein Töpfchen mit Fett, und weil sie keinen bessern und sicheren Ort wussten, stellten
sie es unter den Altar in der Kirche, da sollt' es stehen, bis sie sein bedürftig wären. Einstmals aber trug die Katze Gelüſten darnach, und ging zur Maus:
„hör' Mäuschen, ich bin von meiner Base zu Gevatter gebeten, sie hat ein Söhnchen geboren, weiß und braun gefleckt, das soll ich über die Taufe halten, laß mich ausgehen und halt heut allein
Haus.“ — „Ja, ja, ſagte die Maus, geh hin, und wenn du was Gutes issest, denk an mich, von dem ſüßen roten Kindbetterwein tränk ich auch gern ein Tröpfchen.“
Die Katze aber ging geradeswegs in die Kirche und leckte die fette Haut ab, spatzierte darnach um die Stadt herum und kam erst am Abend nach Haus. „Du wirſt dich recht
elustirt haben, ſagte die Maus, wie hat denn das Kind geheißen?“ — „Hautab“, antwortete dieKatze. — „Hautab? das ist ein seltsamer Name, den hab' ich noch nicht
gehört."
Bals danach hatte die Katze wieder ein Gelüsten, ging zur Maus und sprach: „ich bin aufs neue zu Gevatter gebeten, das Kind hat einen
weißen Ring um den Leib, da kann ichs nicht abſchlagen, du mußt mir den Gefallen tun und allein die Wirtschaft treiben.“ Die Maus
sagte ja, die Katze aber ging hin und fraß den Fetttopf bis zur Hälfte leer. Als sie heim kam, fragte die Maus: „wie ist denn dieser Pate
getauft worden?“ — „Halbaus“
— „Halbaus? was du sagst! den Namen hab' ich gar noch nicht gehört, der steht gewiß nicht im Kalender."
Die Katze aber konnte den Fetttopf nicht vergessen: „ich bin zum dritten mal zu Gevatter gebeten, das Kind ist schwarz und hat bloß weiße Pfoten, sonst kein weißes Haar am ganzen Leib, das trifft sich alle paar Jahr nur einmal, du läßt mich doch ausgehen?“ — Hautab, Halbaus, ſagte die Maus, es sind so kuriose Namen, die machen mich so nachdenksam, doch geh nur hin.“ Die Maus hielt alles in Ordnung und räumte auf, dieweil fraß die Katze den Fetttopf rein aus und kam satt und dick erst in der Nacht wieder. „Wie heißt denn das dritte Kind?“ — „Ganzaus“ — Ganzaus! ei! ei! Das ist der allerbedenklichste Namen, sagte die Maus; Ganzaus? was soll der bedeuten? „gedruckt ist er mir noch nicht vorgekommen!" damit schüttelte sie den Kopf und legte sich schlafen.
Zum vierten mal wollte niemand die Katze zu
Gevatter bitten; der Winter aber kam bald herbei. Wie nun draußen nichts mehr zu
finden war, sagte die Maus zur Katze: „komm wir wollen zum Vorrat gehen, den wir in der Kirche unter dem Altar verſteckt haben.“ Wie sie aber hinkamen, war alles leer — „Ach! sagte die Maus, nun kommts an den Tag, du hast Alles gefressen, wie du zu Gevatter ausgegangen bist, erst Haut ab, dann Halb aus, dann“ — „Schweig still, sagte die Katze, oder
ich freß dich, wenn du noch ein Wort sprichst“ — „Ganz aus“ hatte die arme Maus im Mund, und hatt' es kaum gesprochen, so sprang die Katz' auf sie zu und schluckte sie hinunter.
Grimm Essenz Nr. 1